Darm, Mikrobiom und Vitalität – eine kurze Zusammenfassung
Darm, Mikrobiom und Vitalität – eine kurze Zusammenfassung
1. Zentrale Begriffe
Mikrobiom: Im engeren Sinne bezeichnet das Mikrobiom die Gesamtheit der mikrobiellen DNA im menschlichen Körper. Im weiteren und umgangssprachlichen Sinne bezeichnet der Begriff Mikrobiom die Gesamtheit aller Mikroorganismen im menschlichen Körper. Beim Menschen werden Mikrobiome je nach Körpernische (Darm, Haut, Mundhöhle, Vagina, usw.) unterschieden. Das Darm Mikrobiom befindet sich im Lumen in der äusseren Mukusschicht des Darms. Das Darm Mikrobiom mit rund 100 Billionen Mikroben und seinen 150x mehr Genen als das menschliche Genom ist das grösste und wichtigste Mikrobiom im Menschen.
Abbildung 1: Spezialausgabe der Zeitschrift Science zum Thema Mikrobiom und seine Relevanz für Gesundheit und Krankheit (🔗).
Homöostase: Zentrales Prinzip für die Lebenshaltung und Funktion eines Organismus oder eines Organs. Es bezeichnet einen Gleichgewichtszustand, der durch einen internen regelnden Prozess erhalten wird. In der Physiologie ist damit der SOLL-Zustand beschrieben, die durch den regelnden Prozess erreicht wird. Beispielsweise ist ein regelnder Prozess für die Homöostase des Gehirns die „Blut-Hirn-Schranke“ – also die Barriere zwischen Blutkreislauf und Zentralnervensystem. Ein anderes Beispiel ist der Bluthochdruck und seine Regulation je nach Belastung und Zustand.
Vitalität: Bezeichnet die körpereigene mentale, physische, emotionale und soziale Leistungsfähigkeit zur Erreichung der Homöostase. Sie drückt sich aus durch Lebensfreude, Lebenskraft und Lebendigkeit. Das Gegenteil von Vitalität ist Gebrechlichkeit (engl. frailty).
Siehe auch unsere Infografik zum Begriff Vitalität im Zusammenhang mit dem Konzept des healthy ageing.
Eubiose: Bezeichnet das Gleichgewicht der Bakterienkulturen im Mikrobiom des gesunden Menschen.
Dysbiose: Bezeichnet ein gestörtes Gleichgewicht der Bakterienkulturen im Mikrobiom, das Gegenteil der Eubiose.
Probiotika: Bezeichnet lebende, nichtpathogene Mikroorganismen, die einen gesundheitlichen Nutzen bringen (Hill et al., 2014).
Präbiotika: Bezeichnet Substrate, die selektiv von Wirtsmikroorganismen (hier konkret das Mikrobiom) genutzt werden und einen gesundheitlichen Nutzen bringen (Gibson et al., 2017).
Kommensale: Bezeichnet den Organismus, der zusammen mit einem anderen Organismus von der gleichen Nahrung lebt, ohne diesen zu schädigen.
2. Der Darm und das Darm Mikrobiom
2.1 Der Darm
Der Darm ist der wichtigste Teil des Verdauungstraktes (engl. gastrointestinal (GI) tract). Im Verdauungstrakt sind die Organe zusammengefasst, welche die Nahrung aufnehmen, zerkleinern und weitergeben. Er beginnt in der Mundhöhle, verläuft durch die Speiseröhre in den Magen, weiter in den Darm und endet am Anus (Abbildung 2).
Abbildung 2: Verdauungstrakt des Menschen; der Darm als zentrales Organ (Oesophagus = Speiseröhre) und bakterielle Besiedlung des Darm Mikrobioms. (KBE = Koloniebildende Einheit)
Die Grenzfläche des Verdauungstraktes zur Umwelt beträgt durch die Ausstülpungen der Darmwandzellen rund 250 m2, also etwa 2.5-3x die Oberfläche der Lungenalveolen. Die an der Darmwand über das Mikrobiom und seine Stoffwechselprodukte gewonnene Informationen steuern die Funktionen des Darms, wie beispielsweise Mobilität, Resorption, Absorption, Sekretion, pH-Pufferung, Bildung von Hormonen. Im Darm sind 80% des Immunsystems verortet. Die wohl wichtigste Nervenverbindung ist der Vagus (auch zehnter Hirnnerv X genannt), der grösste Nerv des Parasympathikus, der die (unwillkürliche) Steuerung der meisten Organe und des Blutkreislaufes regelt und über den die Kommunikation mit dem Gehirn abläuft (→Darm-Hirn Achse).
Abbildung 3: Blick durch den Darm. Gut erkennbar die Ausstülpungen der Darmschleimhaut mit dem Mikrobiom in der Mukusschicht. Im gesunden Darm dichten die tight junctions (Membranproteine) die Darmwandzellen ab.
2.2 Das Darm Mikrobiom
Im Mikrobiom des menschlichen Darms sind rund 100 Billionen (1014 = 100'000'000'000'000) Bakterien zusammen mit 1 Milliarde (109 =1‘000‘000‘000) Viren, Pilzen und Archaeen angesiedelt. Kein anderer Lebensraum auf der Erde ist dichter besiedelt. Im Dickdarm sind es 1010 bis 1012 koloniebildende Einheiten (KBE) pro Gramm Biomasse. Die Bakterien setzen sich zu >90% aus den anaeroben Phyla der Bacillota (früher Firmicutes genannt) (>75%) und Bacteriodetes (>15%) und zu etwa 10% aus den beiden Phyla Proteobacteria und Actinobacteria zusammen und bilden etwa 10’000 verschiedene kommensale Arten. Im Dünn- wie im Dickdarm sind hauptsächlich die Bacillota Gattungen Lactobacillus, Enterococcus und Clostridium, die Bacteriodetes Gattungen Bacteroides und Prevotella und Actinobacteria Gattungen Bifidobacterium und Propionibacterium vertreten (Huttenhower et al., 2012), (Binda et al., 2018).
Diese komplexe Bakterienvielfalt macht den Darm zu einem Superorganismus, welcher rund 150 mal mehr Gene als das menschliche Genom besitzt, und ein rund 100 mal höheres metabolisches Potential als die menschliche Leber hervorbringt (Quigley, 2013). Die Homöostase wird vom Mikrobiom reguliert (Vijay and Valdes, 2022).
Abbildung 4: Hauptsächlichen Phyla der Darmbakterien im Mikrobiom. Die Bifidobakterien gehören zum Phylum der Actinobateria und spielen für die Darm Homöostase eine Rolle (Binda et al., 2018).
Das Darm-Mikrobiom gilt als (endokrines = direkt ins Gewebe und von dort ins Blut abgebendes) ‘Superorgan’ (Schaenzler and Beigel, 2020) oder ‘zweites Gehirn’ (Mayer, 2016). Es ist ein komplexes mikrobielles Ökosystem, in dem die Bakterien miteinander leben, kommunizieren, Stoffwechselprodukte austauschen und rekombinieren. Und diese komplexe Bakterien-Darm Wechselwirkung wird stark von der Ernährung beeinflusst. Je nach Zusammensetzung der Nahrung und der bakteriellen Zusammensetzung werden im Mikrobiom eine Vielzahl verschiedener physiologisch aktiver Stoffwechselprodukte oder Metaboliten geformt.
3. Mikrobiom, Vitalität und Gesundheit
In der Homöostase – der körperliche, seelische, emotionale und soziale SOLL Zustand des Organismus – besitzt der Mensch die maximale Vitalität. Er erreicht den physiologischen Zustand, in dem die körpereigenen Systeme (wie Energie-, Stoffwechsel-, Herz-Kreislauf-, Immun- und Nervensystem) voll leistungsfähig sind. Dann ist auch der Zustand Gesundheit – nach WHO der „state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity”) – für das Individuum erreicht. Dieser Zustand drückt sich durch Lebensfreude, Lebenskraft und Lebendigkeit aus. Das ist Vitalität.
Voraussetzung für diesen Zustand ist ein Mikrobiom im Gleichgewicht (Eubiose). Dazu braucht es eine Versorgung des Mikrobioms mit einer ausgewogenen Mischung der Makronährstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Fette (Romano-Keeler et al., 2021). Im Mikrobiom werden die unverdaulichen Nährstoffe wie komplexe Glucane und Glucokonjugate der pflanzlichen Zellwände (umgangssprachlich Ballaststoffe oder Fasern genannt), Proteine sowie Glycin, Taurin, Gallensäure und andere Konjugate, das heisst Produkte, die durch die kovalente Kopplung von mindestens 2 Molekülen entstanden sind, verstoffwechselt. Die anaerobe saccharolytische Fermentation der Ballaststoffe führt über die Brenztraubensäure zu ‘kurzkettigen Fettsäuren’ (engl. short chain fatty acid (🔗 Infografik SCFA)), das heisst zu Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure (Miller and Wolin, 1996), (Silva et al., 2020).
Die kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) verteilen sich mit Hilfe von Transporterproteinen im gesamten menschlichen Gewebe inklusive im Gehirns (Deleu et al., 2021). Dort regulieren diese den Stoffwechsel und andere Körpersysteme, wie das Herz-Kreislauf- Immun- und Nervensystem. Zusätzlich wird der pH-Wertes in den sauren Bereich gesenkt und verhindert so die Vermehrung pathogener Darmbakterien.
Bekannte Stoffwechselprodukte des Darm-Mikrobioms sind beispielsweise Serotonin, kurzkettige Fettsäuren, diverse B-Vitamine (B1, B2, B5, B7, B9, B12), Vitamin K, sekundäre Gallensäuren und die verzweigten Aminosäuren. Aus den Gallensäure Konjugaten metabolisieren Enzyme der Darmbakterien die sekundären Gallensäuren. Diese emulgieren die Fette aus der Nahrung und ermöglichen so den enzymatischen Fettabbau durch Lipasen. Aus den Proteinen hydrolysieren Enzyme der Darmbakterien kurzkettige Peptide und einzelne Aminosäuren. Diese werden zum Aufbau und Regeneration der Darmschleimhäute genutzt und gelangen über die Blutbahn zu den Zellen, wo sie der Proteinbiosynthese zugeführt werden.
Funktional bewirken diese Stoffwechselprodukte eine Verbesserung des Nährstoffabbaus und regulieren die Körpersysteme wie Herz-Kreislauf-, Immun- und Nervensystem über die Darm Mikrobiom - Organ Achsen (Ahlawat et al., 2021), wie beispielsweise die Darm-Hirn (Cryan and Dinan, 2012; Cryan and Mazmanian, 2022), Darm-Lunge (Enaud et al., 2020), Darm-Herz (Bartolomaeus et al., 2020) und Darm-Haut Achse (De Pessemier et al., 2021).
Die Änderung der bakteriellen Zusammensetzung des Mikrobioms und damit einhergehend der Stoffwechselprodukte beeinträchtigt wesentlich die Vitalität. Über 90% aller Krankheiten und Beschwerden sind auf eine Dysbiose des Mikrobiom zurückzuführen. Prominente Beispiele sind chronische Darmentzündungen, Fettleibigkeit, Diabetes, Akne, Atherosklerose, Asthma, neurodegenerative Erkrankungen und bestimmte Arten von Krebs (Vijay and Valdes, 2022). Eine Dysbiose entsteht durch mangelhafte Zufuhr von Nährstoffen, bedingt durch eine fehlerhafte Ernährung, durch die Einnahme von Medikamenten (vor allem Antibiotika) und durch chronischen Stress.
Die Häufigkeit von Krankheiten, die auf Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf, Immun- und Nervensystem beruhen, hat in der westlichen Zivilisation zugenommen. Der Anstieg korreliert mit dem zurückgehenden Verbrauch an Ballaststoffen. Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der Ernährung, der Aufnahme von Ballaststoffen und den daraus durch Fermentation gebildeten Stoffwechselprodukten, wie beispielsweise den kurzkettigen Fettsäuren.
Die Ernährung und die daraus resultierende Änderung der Zusammensetzung des Mikrobioms hat damit einen direkten Zusammenhang mit westlichen Zivilisationskrankheiten wie Verdauungsproblemen, Übergewicht, Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrations- und Schlafstörungen (Kolodziewjczyk et al., 2019, Leeuwendaal et al. 2022). Eine Vorbeugung oder Korrektur durch spezifisch abgestimmte Zugabe von probiotischen, mit lebenden Lactobacilli fermentierten Getränken, wie Bubronda oder präbiotische Nahrungszusätze wie Vigur ist möglich.
Die Einnahme von Präbiotika wie Vigur beeinflusst das relative Wachstum der Bakterienstämme und ändert damit die bakterielle Zusammensetzung des Mikrobioms und damit die Zusammensetzung der physiologisch wirksamen Stoffwechselprodukte.
Weiterführende Literatur
Ahlawat, S. et al., 2021. Gut-organ axis: a microbial outreach and networking. Lett Appl Microbiol 72, 636–668. https://doi.org/10.1111/lam.13333
Bartolomaeus, H. et al., 2020. Darm-Herz-Achse. Herz 45, 134–141. https://doi.org/10.1007/s00059-020-04897-0
Binda, C. et al., 2018. Actinobacteria: A relevant minority for the maintenance of gut homeostasis. Digestive and Liver Disease 50, 421–428. https://doi.org/10.1016/j.dld.2018.02.012
Cryan, J.F., Dinan, T.G., 2012. Mind-altering microorganisms: the impact of the gut microbiota on brain and behaviour. Nat Rev Neurosci 13, 701–712. https://doi.org/10.1038/nrn3346
Cryan, J.F., Mazmanian, S.K., 2022. Microbiota–brain axis: Context and causality. Science 376, 938–939. https://doi.org/10.1126/science.abo4442
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Enaud, R. et al., 2020. The Gut-Lung Axis in Health and Respiratory Diseases: A Place for Inter-Organ and Inter-Kingdom Crosstalks. Front Cell Infect Microbiol 10, 9. https://doi.org/10.3389/fcimb.2020.00009
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Hill, C.et al., 2014. The International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics consensus statement on the scope and appropriate use of the term probiotic. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 11, 506–514. https://doi.org/10.1038/nrgastro.2014.66
Huttenhower, C. et al., The Human Microbiome Project Consortium, 2012. Structure, function and diversity of the healthy human microbiome. Nature 486, 207–214. https://doi.org/10.1038/nature11234
Kolodziejczyk, A.A. et al., 2019. Diet–microbiota interactions and personalized nutrition. Nat Rev Microbiol 17, 742–753. https://doi.org/10.1038/s41579-019-0256-8
Leeuwendaal, N.K. et al., 2022. Fermented Foods, Health and the Gut Microbiome. Nutrients 14, 1527. https://doi.org/10.3390/nu14071527
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Miller, T.L., Wolin, M.J., 1996. Pathways of acetate, propionate, and butyrate formation by the human fecal microbial flora. Appl Environ Microbiol 62, 1589–1592. https://doi.org/10.1128/aem.62.5.1589-1592.1996
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Romano-Keeler, J. et al., 2021. The Life-Long Role of Nutrition on the Gut Microbiome and Gastrointestinal Disease. Gastroenterol Clin North Am 50, 77–100. https://doi.org/10.1016/j.gtc.2020.10.008
Schaenzler, D.N., Beigel, F., 2020. Superorgan Mikrobiom: Der Darm als Schlüssel zu Gesundheit und längerem Leben. Gräfe Und Unzer.
Silva, Y.P. at al., 2020. The Role of Short-Chain Fatty Acids From Gut Microbiota in Gut-Brain Communication. Front. Endocrinol. 11, 25. https://doi.org/10.3389/fendo.2020.00025
Vijay, A., Valdes, A.M., 2022. Role of the gut microbiome in chronic diseases: a narrative review. Eur J Clin Nutr 76, 489–501. https://doi.org/10.1038/s41430-021-00991-6